Herzklopfen
Der alte Ortschronist hatte mir die alte Seekarte schon öfters gezeigt und seine Geschichte, die er mir jedes Mal erzählte, interessierte mich heute wirklich. Denn ich hatte kürzlich nahe der Fährenroute Romo-Sylt an einer Sandbank Gegenstände gefunden, wie Hellebarden, Säbel und Gewehre und letztlich auch einige spanische Goldduplonen. Als ich ihm dies erzählte, strahlte über beide Ohren. Damit stand für ihn fest, dass eine Expedition fällig wäre.
Am anderen Morgen ging ich zur Werft Clippenrath & Klüse, um nach einem geeigneten Schiff für die Expedition Ausschau zu halten. Sie befand sich unten am Heefwai und war noch eine wenigen übriggebliebenen Werften der Region. Clipp, wie wir ihn nannten hatte ein Fabel für alte, romantische Schiffe. Auf den Helligen viel mir gleich das Kleinste unter den vier Schiffen auf.
Es hatte so ziemlich die Größe, die mir für die Schatzsuche vorschwebte. Ein Küstenmotorschiff von ca. 50 Meter über alles. Als ich mich durch den Liegeplatz hindurchwurschtelte kam auch schon gleich ein aufgeregt winkender älterer Mann auf mich zu.
„Wo haben Sie ihren Helm gelassen, wenn das der Alte sieht!“ wetterte er. Beim Näherkommen wirkte der Mann entschieden freundlicher und seine blauen Augen blitzten mich aus dem grauen Brauengestrüpp an.
„Sie sind bestimmt der richtige Mann?“ lenkte ich ihn ab und ich bemerkte wie er deutlich freundlicher wurde.
„Wieviel Jahrzehnte Seefahrt haben Sie hinter sich?“ fuhr ich mit meinem Schmeichelkurs fort. Jetzt blitzten auch seine beiden strahlenden, guterhaltenen Zahnreihen auf.
„Sagen Sie, was ist mit diesem Schiff?“ fuhr ich fort.
„Ach, mit dem alten Engländer hier?“ Er deutete in die Richtung des Objekts.
„Wieso Engländer, es heißt doch „Marianne“, wie´s da oben steht,“ entgegnete ich.
„Na, wegen der Frau vom Chef, eigentlich ist es nur ein halber echter Engländer. Wir haben das Wrack vor ein paar Jahren geborgen. Die Hälfte jedenfalls. Wären fast dran zerschellt. Aber das Holz, fühlen Sie mal!“ Er stöhnte leicht als er seine rechte Pranke sanft auf den Rumpf patschte. Bei seinen Worten wurde mir ganz schwummerig, weil ich an die Geschichte vom Ortschronisten dachte.
„Eiche?“ Mein Interesse stieg.
„Und zwar aus dem 16. Jahrhundert. Der hintere Part ist relativ neu. Haben wir Stück für Stück in den letzten Jahren beigebracht.“ Stolz schwang in seiner Stimme mit. Ein Zeichen, das er viele Stunden mit der Marianne zusammen war.
„Wo haben Sie das Schiff gefunden?“ bohrte ich vorsichtig.
„Hm, na so auf halber Strecke zwischen Sylt und Norddeich,“ brummte der alte Seemann. „Habs gleich in der Karte vermerkt. Ist ne kitzlige Stelle.“
Der freudige Schock saß mir in den Knochen. Das konnte der Engländer sein, der mit dem Untergang der Galeone zu tun hatte, von der Ortschronist erzählt hatte. Ich hoffte, dass ich bei den Gedanken keine roten Ohren bekam und damit mein fieberhaftes Interesse verriet.
„Sagen Sie, ich möchte die Marianne für einige Zeit chartern, wenn Sie wieder seetüchtig ist. Sie könnten ja mitfahren, ich würde ihre Erfahrung schätzen, mein Wort.“
Er war überrascht und geschmeichelt.
„Haben Sie was besonderes vor?“ fragte er.
„Eigentlich nur mal einen längst fälligen Törn hier rund um die Bucht,“ lockte ich. „Tja, wie machen wir´s? Ich muss den Chef suchen.“
„Und wann soll´s losgehen?“
„So schnell wie möglich, liegt bei Ihnen, wie Sie können,“ schob ich nach. „Ich wollte mir die Marianne vorher noch etwas genauer ansehn, wann passt es Ihnen?“
„Na, gleich morgen früh, dann weiß ich auch mehr vom Chef,“ antwortete der Alte gut gelaunt.
„Schön,“ entgegenete ich. „Haben Sie die besagte Karte noch irgendwo?“
„Ich bring´sie morgen mit,“ rief er halb im Weggehen.
„Ach“, sagte ich, „ich bin übrigens Jens Bongards“.
Er drehte sich noch mal um, gab mir seine Pranke. „ich heiße John Meinert, hat mich gefreut“
Bevor ich heimwärts zog informierte ich den Ortschronisten über das Schiff. Der stand da, inmitten seines Zimmers in seinem kleinen Häuschen mit Reetdach und posierte wie Magellan und Cook zusammen.
Nun, die Suche nach den Mitfahrern gestaltete sich als unproblematisch. Sie befanden sich fast alle im „Anker“ bei der stämmigen Erna.
„Männer, Einzelheiten zu dem Törn sag ich noch. Jetzt geht es darum den umgebauten Segler so schnell wie möglich flott zu machen. Wer kommt alles morgen Vormittag zur Werft am Heefwai?“
Ein einstimmiges „Jo“ hallte mir entgegen und noch im Gehen hörte ich sie intensiv beraten. Erna verzog das Gesicht, denn sie witterte starke Umsatzeinbußen.
„Ach“, drehte ich mich nochmals zu ihr um, „Den größte Teil des Proviants kaufen wir bei dir. Bis morgen.“
Der alte Jo Meinert hatte in der Früh weibliche Verstärkung bei sich.
„Jens“, hob er an. „Rat mal wer das ist?“
„Jemand von der Presse?“ antwortete ich.
„Dat is meine Nichte Kathleen. Die is grade fertig mit´m Nautikstudium in Elsfleth. Die kennt die Marianne gut. Hat die letzten Monate viel Zeit hier verbracht,“ warb er für sie.
Sie kam mir entgegen und gab mir ihre kräftige Hand.
„Ich will mit!“ Sie machte kein langes Aufhebens. „Onkel John als Käpt´n und ich als 1. Offizier. Ich habe mein Patent gemacht!“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und schaute mich siegesbewusst an.
Mein Blick ging zu John Meinert. Der strahlte wie eine Supernova.
„Tja,“ sagte ich. „Abgemacht! Dann sind wir sozusagen komplett. Ich habe gestern Abend die Mannschaft angeworben.Und wie steht´s beim Owner Clippenrath?“
„Da musst Du ihm noch den Rest besorgen,“ bemerkte der Alte.
Er packte mich am Arm und wir schritten zu Dritt ins Büro. Der Chef erwartete uns schon mit hochrotem Gesicht.
„Was hör ich? Ihr wollt mit der Marianne ein paar Tage schippern?“ Er pustete, hauptsächlich wegen seiner Beschwerden. Er konnte sich nur schwer aus seinem Sessel erheben.
Ich legte mit meiner Überzeugungsrede los und bemerkte beim Chef, dass zu dem roten Gesicht noch die Halsschlagader gefährlich anschwoll. Als er begriff, dass die Marianne mit Sicherheit eine elisabethianische Galeone aus dem 16. Jahrhundert sei, war alles klar.
„Ihr könnt die Marianne, oder wie Du sagst die „Windy Seasons“, kostenfrei über die Zeit haben. Ich lass alles vorbereiten. KM hilft mir bei der Planung“.
„Aye, Aye Sir,“ erwiderte die junge Nautikerin.
Nun brach eine hektische Zeit an für die Werft, und das Gehämmer und Geklopf, das Gesäge und Gehobel schallten über das Munkmarscher Hafenbecken.
Mit der Crew war eine große Veränderung vorgegangen. Seitdem jeder wusste, worum es ging, stieg die Flut in den Adern. Bis in die Dämmerung hinein hämmerten und zimmerten sie an der Marianne, und bis tief in die Nacht saß ich noch mit John und KM bei der Lampe über den Rissen und Zeichnungen.
KM und ich waren uns unaufhaltsam näher gekommen. Im Lichtkegel der Lampe hatten sich unsere Körper schon mehrfach berührt. Ich erwischte mich dabei, wie ich statt die Zeichnung zu studieren ihre leichtbehaarten, gebräunten Unterarme fixierte. Ein Rempler mit ihrem Allerwertesten rief mich zur Ordnung. Ich blickte sie an. Sie verzog keine Miene, sie hatte den Blick weiter auf die Unterlagen geheftet. Ich meinte in ihrer ebenmäßigen Silhouette einen leichten Anflug von Belustigung zu erkennen. Ihr breiter aber reizvoller Mund lächelte, ihr pechschwarzes Haar fiel sanft über ihr nussfarbenes, von der frischen Luft getöntes Gesicht. Sie blies eine Haarsträhne beiseite und der Luftzug traf mich frontal.
„Leute, ich glaube, wir machen Schluss für heute,“ meldete sich auffällig JM und dehnte dabei seinen Leib. „Ach, hier ist noch die Karte.“ Er zog sie aus der Gesäßtasche und reichte sie mir herüber.
Der Stapellauf ging uns allen sehr nah. JM stand achtern an der Reeling und presste das Akkordeon. An der Bordwand lief noch der Sektschaum langsam hinab, als sich die Marianne löste und leise ins Wasser glitt. Clipp stand unten in vorderster Front vor einer Reihe von Besuchern, darunter auch einige Presseleute. Man konnte seine Tränen noch von Deck aus sehen.
Leise schwamm die Marianne unter den festen Händen von Kathrin mit der beginnenden Ebbe aus dem Munkmarscher Hafen ins das Nordseewasser hinein. Das Abenteuer hatte begonnen. KM hatte, wie sie´s in Elsfleth gelernt hatte, die richtige Strombeschickung errechnet.
Manfred wirkte wie immer ruhig, aber Seine Muskeln waren gespannt, für alle Fälle.
Mit 15 Knoten ging die Fahrt von Munkmarsch Richtung Romo. JM setzte über Funk alle notwenigen Daten ab.
Sein Blick ging prüfend über die Kimm und seine Augenbrauen zogen sich weit nach unten. Es gab keinen Zweifel für ihn. Ein unerwartetes Unwetter kam auf. Der Wind sprang jäh um, und er wurde zum Sturm, und der Sturm drückte nun von Norden her einen derartigen Schwall zwischen den beiden Inseln hindurch, dass kein Vorwärtskommen mehr möglich war. 3, 4, 5 Bft. zeichneten sich in kürzester Zeit ab. Manfred kam KM zu Hilfe, um einigermaßen den Kurs zu halten. Es nützte nicht viel. Die Marianne wurde erbarmungslos nach Osten und drehte sich zudem noch nach steuerbord. Der Himmel hatte sich schlagartig verdunkelt und scharfer Regen peitschte über das Deck und eine Sicht durch die Scheibe der Brücke war unmöglich.
„JM“, rief Manfred gegen den Höllenlärm, „der Kompass spielt verrückt!“.
JM hob ratlos die Schulter. Der Wettbericht war gut gewesen, zumindest für die nächsten Stunden. So etwas hatte er auch nicht erlebt. Er befahl:“Maschine stopp“, weil er nicht riskieren wollte mit der gewaltigen Strömung gegen die Sandbank zu driften. Gebannt starrten alle aufs Radar.
Millimeter für Millimeter schob sich die Marianne durchs aufgewühlte Wattenmeer.
„Mittschiffs! Das Ruder mittschiffs legen!“ gellte die Stimme von JM.
„Ruder liegt mittschiffs!“ kam nach einigen Sekunden die Antwort von Manfred, dem der Schweiß auf der Stirn stand. Die Marianne lag jetzt lee im halben Wind und bekam beängstigende Schlagseite. KM entschied den Anker werfen zu lassen, um einigermaßen die Position zu halten. Die Kette rasselte durch vordere Klüse und der Anker klatschte ins tobende Wasser. Minuten der Angst vergingen.
„Wahrschau!“ schnitt die helle Stimme von Noob durch die peitschende Gischt. „Objekt voraus!“ Er hatte vom Ladebaum, wo er sich festgemacht hatte, die beste Sicht. „100 m voraus, sieht aus wie ein Mast!“ brüllt er weiter. Alle blickten gebannt in die Richtung, wo Noob den Mast gesehen hatte und erschraken. Das Oberdeck eines Alten Seglers wurde sichtbar und im Mast leuchtete ein gewaltiges Elmsfeuer.
Schlagartig setzte Ruhe ein. Der Sturm legte sich, die Sicht klarte auf, die See glättete sich allmählich. Langsam senkte sich das gespenstische Objekt wieder in die Fluten hinab.
„Leute!“ schrie ich. „Das ist das Schatzschiff!“
Ein unbeschreibliches Jubeln erscholl an Bord.
Ich riss die Karte, die ich von JM bekommen hatte, hervor und sprang zu Manfred und KM, die gerade die Position geplottet hatten. Sie verglichen die Markierung mit unserer augenblicklichen Position und guckten sich ungäubig an. Es war die gesuchte Galeone.
„JM reagierte. Er gab die entprechenden Kommandos an den Maschinisten und die Marianne schob sich vorsichtig Meter für Meter in die Nähe des noch sichtbaren Strudels, den das versunkene Schiff auf die Meeresoberfläche gemalte hatte. Wir ankerten dort. Benno und Heinz gingen auf Tauchstation und in kurzer Zeit meldeten sie: „Gold, Gold, Goldmünzen, jede Menge, vier große Kisten!“
Der Jubel an Bord war unbeschreiblich. Ich ging mit KM ein wenig vom Trubel weg nach achtern. Ich hatte den Arm um ihre Schulter gelegt, genoss den Duft ihres feuchten Haarschopfes. „Katrin, ich glaube, ich habe den größten Schatz in Händen!“ Sie lächelte warm und strahlte überglücklich. „Fühl mal,“sagte sie „was ich für Herzplopfen habe!“
Sylt-Geschichte von Reinhard Kraus
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