Illegaler Abriss des Alten Gasthof in List auf Sylt
Illegaler Abriss des Alten Gasthof in List auf Sylt

 

Fachaufsichtsbeschwerde in Sachen Alter Gasthof List auf Sylt


Stellungnahme zur Festsetzung eines Bußgelds

Sehr geehrter Herr Landrat Lorenzen,

mit diesem Schreiben wenden wir uns gemeinsam an Sie, um unsere Fassungslosigkeit über
die Umstände der evident rechtswidrigen Festsetzung des Bußgeldes im Verfahren um den
illegalen Abriss des Gebäudes „Alter Gasthof“ in List auf Sylt zum Ausdruck zu bringen.
Wie Ihnen bekannt ist, wurde am 30.12.2022 eines der ältesten Gebäude in der Gemeinde
List auf Sylt, der im Erhaltungsgebiet der Erhaltungssatzung der Gemeinde List auf Sylt
liegende „Alte Gasthof“, ein Reetdach-Haus aus dem Jahr 1650, durch ein vom Eigentümer
beauftragtes Unternehmen ohne die nach § 172 Abs. 1 BauGB erforderliche Genehmigung
abgerissen. Der Abriss hat auf Sylt, aber auch über Sylt hinaus, für Entsetzen und Empörung
gesorgt. Die Medien haben umfangreich berichtet.


Das Rechtsgutachten einer von der Gemeinde List auf Sylt beauftragten Wirtschaftskanzlei
kam im Februar zu dem Ergebnis, dass im diesbezüglichen Bußgeldverfahren des Kreises
gegen den Eigentümer des Grundstücks § 17 Abs. 4 OWiG anzuwenden sei. Nach dieser
Vorschrift soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der
Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht
aus, so kann es überschritten werden. Die Regelung soll verhindern, dass sich die Begehung
einer Ordnungswidrigkeit für den Täter in irgendeiner Weise lohnt und zugleich andere
potentielle Täter abschrecken. Dieses Gutachten lag Ihnen seit dem 16.02.2023 vor.

 

Am 23.02.2023 telefonierte der Gutachter der Wirtschaftskanzlei zu diesem Thema mit dem
Leiter des Ordnungsamtes des Kreises Nordfriesland. Der Leiter des Ordnungsamtes teilte
dem Gutachter mit, er habe über das Gutachten „schmunzeln“ müssen. Der Kreis werde § 17
Abs. 4 OWiG nicht anwenden, sondern eine Geldbuße innerhalb des im BauGB vorgegebenen
Rahmens von maximal 30.000 € festsetzen, da sich der wirtschaftliche Vorteil im vorliegenden
Fall nicht ermitteln ließe. Der Gutachter der Wirtschaftskanzlei erklärte dem Leiter des
Ordnungsamtes, dass eine Schätzung des wirtschaftlichen Vorteils zulässig und im
vorliegenden Fall möglich sei. Der Leiter des Ordnungsamtes beharrte darauf, dass dies nicht
zutreffe.


Am 27.02.2023 kam es zu einer (teilweise virtuellen) Besprechung zwischen dem
Bürgermeister der Gemeinde List auf Sylt sowie weiteren Mitarbeitern der Gemeinde List auf
Sylt, Mitgliedern der Gemeindevertretern der Gemeinde List auf Sylt, dem Gutachter der
Wirtschaftskanzlei und dem Leiter des Ordnungsamtes. In diesem Gespräch bekräftigte der
Leiter des Ordnungsamtes erneut die Absicht des Kreises Nordfriesland, im Bußgeldverfahren
von der Abschöpfung des durch die Ordnungswidrigkeit erlangten wirtschaftlichen Vorteils
gemäß § 17 Abs. 4 OWiG abzusehen. Als Begründung für den vollständigen Verzicht auf die
Abschöpfung des durch die Ordnungswidrigkeit erlangten wirtschaftlichen Vorteils gemäß § 17
Abs. 4 OWiG führte der Leiter des Ordnungsamtes an, dass sich der durch die
Ordnungswidrigkeit erlangte wirtschaftliche Vorteil im vorliegenden Fall nicht bestimmen ließe.
Diese Begründung stieß bei den übrigen Gesprächsteilnehmern auf völliges Unverständnis –
zumal zu diesem Zeitpunkt selbst die Anhörung des Beschuldigten noch nicht stattgefunden
hatte, der Sachverhalt also noch nicht einmal ausermittelt war. Der Gutachter der
Wirtschaftskanzlei legte gegenüber dem Leiter des Ordnungsamtes die Rechtslage dar,
verwies auf sein am 16.02.2023 dem Kreis übermitteltes Gutachten und machte ihn darauf
aufmerksam, dass etwa in Berlin die Verhängung erheblicher Geldbußen wegen
baurechtlicher Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit baurechtswidrigen Werbetafeln
üblich sei. Auf Nachfrage schloss der Leiter des Ordnungsamtes kategorisch aus, eine
Geldbuße festzusetzen, die den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der
Ordnungswidrigkeit erlangt hat, übersteigt und bekräftigte die Absicht des Kreises, eine
Geldbuße von maximal 30.000 € festzusetzen.


Die Frage nach dem voraussichtlichen zeitlichen Rahmen des Ordnungswidrigkeitsverfahrens
ließ der Leiter des Ordnungsamtes unbeantwortet, indem er sich unverrichteter Dinge aus der
Besprechung, an der er virtuell teilgenommen hatte, verabschiedete und damit den Dialog
abbrach. Angesichts der kategorischen Weigerung des Leiters des Ordnungsamtes, die
Möglichkeit einer Anwendung des § 17 Abs. 4 OWiG im Bußgeldverfahren auch nur in
Erwägung zu ziehen, sah die Gemeinde List auf Sylt keine andere Möglichkeit, als sich an die
Fachaufsicht zu wenden.


Am 01.03.2023 kam es, kurz vor der Sitzung des Bauausschusses der Gemeinde List auf Sylt,
in der über die Einreichung der Fachaufsichtsbeschwerde entschieden werden sollte, um
16:46 Uhr zu einer Intervention bei der Gemeinde List auf Sylt per E-Mail durch Sie persönlich,
Herr Landrat Lorenzen. In dieser E-Mail behaupteten Sie mit Blick auf § 17 Abs. 4 OWiG u.a.
„Es muss sich um tatsächlich erzielte Vorteile handeln. Bloß hypothetische Gewinne oder
zukünftige Gewinnaussichten reichen nicht aus. Wenn ein Gebäude unter Verstoß gegen
eine Erhaltungssatzung abgerissen wird, erzielt der Täter dadurch erst einmal keinen wirtschaftlichen Vorteil. [...] Es gibt also keinen Gewinn, allenfalls verbessern sich die
Aussichten auf künftig zu erzielende Gewinne. Das reicht aber nicht aus.“
Das ist, wie ein kurzer Blick in jeden beliebigen Kommentar zum OWiG zeigt, nachweislich
falsch. Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils in § 17 Abs. 4 OWiG umfasst, wie für Sie und
Ihre Mitarbeiter leicht zu ermitteln gewesen wäre, u.a. die Erlangung einer verbesserten
Marktposition, Gebrauchsvorteile, die auf sichere künftige Gewinne schließen lassen und
insbesondere und selbstverständlich auch Vorteile, die erst mittelbar eintreten. Der Sinn des
§ 17 Abs. 4 OWiG besteht darin, zu verhindern, dass sich die Begehung einer
Ordnungswidrigkeit in irgendeiner Weise lohnt.


Der Bauausschuss hat sich von dieser offenkundig unrichtigen Darlegung der Rechtslage nicht
irritieren lassen und einstimmig für die Einreichung der Fachaufsichtsbeschwerde gestimmt.
Gleichwohl verurteilen wir diesen Versuch, mittels einer nachweislich falschen Rechtsauskunft
in letzter Minute Einfluss auf den Entscheidungsprozess eines demokratisch legitimierten
kommunalen Ausschusses zu nehmen, aufs schärfste.


Am 22.05.2023 wurde dem Kreis durch das für die Fachaufsicht zuständige Ministerium für
Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein eine
Stellungnahme des Ministeriums für Justiz und Gesundheit zur Anwendung des § 17 Abs. 4
übermittelt. In der Stellungnahme heißt es unmissverständlich:

„In den Fällen, in denen der Täter im Sinne einer rein wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-
Rechnung sehenden Auges eine Ordnungswidrigkeit begeht, wird eine Abschöpfung des

Vorteils zwingend geboten sein. Die Nichtbeachtung des § 17 Abs. 4 OWiG erweist sich
in diesen Fällen als rechtsfehlerhaft“
Weiter heißt es:
„Bezogen auf den hier gegenständlichen Sachverhalt wäre die wirtschaftliche Lage des
Bauherrn vor und nach dem rechtswidrigen Abriss des Gasthofs zu bewerten. [...] Der
wirtschaftliche Vorteil ist soweit wie möglich zu berechnen (KK-OWiG/Mitsch § 17 Rn.
117), andernfalls zu schätzen (Krenberger/Krumm, OWiG § 17 Rn. 27). [...] Die
wesentlichen Kriterien, die zur Bestimmung des Wertes führen, sollen im
Bußgeldbescheid dargelegt werden, jedenfalls wenn es – wie hier zu erwarten – um
erhebliche Beträge geht“
Das Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport hat den Kreis ausdrücklich
darum gebeten, diese Stellungnahme bei der Entscheidung über die Festsetzung des
Bußgeldes zu berücksichtigen. Eine fachaufsichtsrechtliche Weisung wurde angesichts der
eindeutigen Rechtslage offenbar für nicht erforderlich erachtet.
Nur einen Tag später, am 23.05.2023, hat der Kreis dann einen Bußgeldbescheid in Höhe von
lediglich 30.000 € erlassen. § 17 Abs. 4 OWiG blieb unangewendet, nicht ein einziger Cent
des wirtschaftlichen Vorteils, den der Täter durch den Abriss des „Alten Gasthofs“ erzielt hat, wurde abgeschöpft. Dabei hätte der Kreis angesichts der einschlägigen Verjährungsvorschrift
(§ 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) bis Dezember 2025(!) Zeit gehabt, den Bußgeldbescheid zu erlassen.
Am 30.05.2023 erklärte der Anwalt des Eigentümers den Verzicht auf Rechtsmittel, so dass
der Bescheid rechtskräftig wurde. Am 01.06.2023, als die Sache „in trockenen Tüchern“ und
jede Möglichkeit, den rechtswidrigen Bußgeldbeschein noch zurückzunehmen
ausgeschlossen war, erfolgt sodann eine Informierung der Presse durch den Kreis. Die
Gemeinde List auf Sylt hat der Kreis nicht informiert. Stattdessen erfuhr der Bürgermeister der
Gemeinde List auf Sylt durch eine Presseanfrage vom Bußgeldbescheid. Wir missbilligen die
in der Nichtinformierung zum Ausdruck kommende Missachtung der Gemeinde List auf Sylt
durch den Kreis nachdrücklich.


Die Presseerklärung des Kreises Nordfriesland ignoriert einmal mehr die Tatsache, dass der
wirtschaftliche Vorteil im Rahmen des § 17 Abs. 4 OWiG nach der insoweit eindeutigen
Rechtsprechung mit Hilfe eines Gutachters geschätzt werden darf. Der Vergleich zwischen
einem wirtschaftlichen Zustand X vor einem bestimmten Ereignis und einem wirtschaftlichen
Zustand Y nach diesem Ereignis gehört zum Alltag der deutschen Rechts- und
Wirtschaftsordnung. Zehntausendfach täglich werden in Deutschland im Schadensrecht eine
bestimmte wirtschaftliche Situation vor einem bestimmten Schadenereignis und eine
wirtschaftliche Situation nach diesem Schadensereignis verglichen. Selbstverständlich ist dies
auch möglich, wenn es – wie im vorliegenden Fall – nicht um eine Verschlechterung, sondern
um eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation durch ein bestimmtes Ereignis – hier den
illegalen Abriss - geht. Die Behauptung, der wirtschaftliche Vorteil ließe sich im vorliegenden
Fall nicht einmal schätzungsweise ermitteln, entbehrt jeder Grundlage.


Der Kaufpreis und diesem zugrundeliegende Erwartungen bzgl. der Nutzbarkeit des
Grundstücks spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Es kommt allein auf die Situation
unmittelbar vor der Begehung der Ordnungswidrigkeit an. Zu vergleichen ist die wirtschaftliche
Lage unmittelbar vor Begehung der Ordnungswidrigkeit und die durch die Ordnungswidrigkeit
neu geschaffene wirtschaftliche Lage. Der vorliegende Fall illustriert dies. Zum Zeitpunkt
unmittelbar vor Begehung der Ordnungswidrigkeit wusste der Eigentümer, der einen
erfolglosen Antrag auf Baugenehmigung für eine Wohnnutzung des Gebäudes „Alter Gasthof“
gestellt hatte, dass die dem Kaufpreis (möglicherweise) zugrundeliegende Erwartung falsch
war. Das Grundstück war aufgrund der eingeschränkten Nutzbarkeit deutlich weniger wert als
es bei einer vollumfänglichen Nutzbarkeit zu Wohnzwecken wäre. Die Voraussetzung für die
vollumfängliche Nutzbarkeit zu Wohnzwecken hat der Eigentümer durch die
Ordnungswidrigkeit bewusst hergestellt. Er hat damit aus der Ordnungswidrigkeit
unbestreitbar einen ganz erheblichen wirtschaftlichen Vorteil gezogen.
Die Kalkulation des Täters, dessen wirtschaftlicher Vorteil durch den Rechtsbruch das
verhängte Bußgeld von 30.000 € um ein Vielfaches übersteigen dürfte, ist – durch das
rechtswidrige Verhalten des Kreises Nordfriesland - aufgegangen. Es ist ein Präzedenzfall
geschaffen worden, der weitere historische Gebäude auf Sylt und anderswo im Kreis Nordfriesland gefährdet. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat und die Politik hat, wie viele emotionale Reaktionen der Bürger in unseren Gemeinden zeigen, durch diesen skandalösen Vorgang Schaden genommen.
Es ist für uns derzeit schwer vorstellbar, wie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen
den Kommunen auf Sylt und dem Kreis zukünftig aussehen soll. Wir fordern sie nachdrücklich
auf, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um diesen Skandal restlos aufzuklären und
das in der Bevölkerung verlorengegangene Vertrauen in unsere rechtstaatlichen Institutionen
und Prozesse wiederherzustellen.
Ein solcher Vorgang darf sich nicht mehr wiederholen!

Mit freundlichen Grüßen

Katrin Fifeik / Bürgermeisterin

 

Stefanie Böhm / Bürgermeisterin 

 

Ronald Benck /  Bürgermeister

 

Rolf Speth / Bürgermeister

 

Nikolas Häckel / Bürgermeister